„König Ottokars Glück und Ende“


Auszug aus Trauerspiel „König Ottokars Glück und Ende“ von Franz Grillparzer (1825)

Fünfter Aufzug

Kirchhof von Götzendorf.

Drei Vierteile des Mittelgrundes durch das hereinragende Haus des Küsters geschlossen,
mit einem Glockenturm daran.
Vorposten des böhmischen Heers.
Ein Wachfeuer, Krieger herumgelagert.
Ottokar sitzt hinter demselben auf einer Erhöhung,
das Kinn auf beide Hände und diese auf den Knopf seines Schwertes gestützt.
Rechts im Vorgrunde Milota und Füllenstein am Boden liegend.
Vor Tagesanbruch. Dunkel.
Ein Bote tritt rechts im Vorgrunde auf.

Bote.
Ist hier der König?

Milota.
Ja, was gibt’s?

Bote (halblaut).
Kumanen
Und Ungarn von des Kaisers Heere streifen
Die March hinauf im Rücken unsrer Stellung;
Bei Drösing hat man ihrer schon gesehn.
Soll ich’s dem König melden?

Milota.
Laßt nur sein!
Der König ist schon übellaunig sonst;
Auch stehn die Russen dort und meine Leute,
Die werden sie den Rückweg suchen lehren.

Bote.
Nun, wenn Ihr meint –

Milota.
Geht nur, gleich komm ich selbst.
(Bote ab.)

Füllenstein (halblaut).
Das ew’ge Zaudern, ewige Bedenken!
Und immer rückwärts! Ei, verdamm es Gott!
Der König hat sein Wesen ausgezogen.
Schon früher ging nicht alles, wie es sollte,
Die Flucht der Königin gab ihm den Rest.
Und wär’s nicht, daß mich freut das Kriegeshandwerk,
Ich wäre längst gewichen von dem Heer.
Erst stürmt er vierzehn Tage Drosendorf
Und läßt dem Kaiser Zeit, die Macht zu sammeln;
Und als man endlich denkt: jetzt schlägt er los,
Als wir gerüstet stehn und fertig vor Marchegg,
Da heißt’s: zurück! und Weiden, Weikendorf
Und Anger, Stillfried, alle Stellungen
Am Hasenberg, am Weidenbach und an der Sulz
Läßt er dem Feind, beinah ohn‘ einen Schwertschlag.

Milota.
Bald muß es sich entscheiden; sei getrost!

Füllenstein.
Er nennt das Vorsicht; Zagheit nenn ich’s eher!
Sonst war das anders, ei, da galt noch Fechten.
Jetzt sind wir Memmen!

Milota.
Schweig! Der König regt sich!

Füllenstein.
Zeit wär‘ es!

Ottokar (am Feuer).
Gestern war ein schlimmer Tag!
Der Feind gewinnet Boden. Doch was tut’s?
Ich habe Drosendorf; der Rücken ist gesichert.

Füllenstein (laut).
Beinah der Rücken sichrer als die Brust!

Ottokar.
Dir tu ich nicht zu Danke, Füllenstein!

Füllenstein.
Nein, Herr, ich kann’s nicht leugnen. Sonst war’s anders.

Ottokar.
Du hättest bei Marchegg schon losgeschlagen?

Füllenstein.
So tat ich, Herr, und Ihr, Ihr tatet’s auch
Noch vor zwei Jahren. In der Ungerschlacht,
Am selben Ort, habt Ihr nicht lang gezweifelt.
Ei, Schwert heraus und in den Feind! Da ging’s.

Ottokar.
Es ging, weil es der Zufall günstig meinte.
Ei, damals war ich ein verwegner Tor,
Wie du noch jetzt bist. Reife bringt die Zeit.

Füllenstein.
Herr, als noch bei Marchegg der Kaiser stand,
Da zählt‘ er tausend Streiter, und nicht mehr.
Jetzt ist er an die dreißigtausend stark.

Ottokar.
Allwissend ist nur Gott! – Was ist die Uhr?

Diener.
Drei Uhr nach Mitternacht.

Ottokar.
Die Schlacht ist unvermeidlich!
Wir sind am Feind. Der heut’ge Tag entscheidet.
Wie heißt der Ort hier?

Diener.
Götzendorf, mein König.

Ottokar.
Der Bach?

Diener.
Die Sulz.

Ottokar.
Ich dacht‘, ich wär‘ in Stillfried.

Diener.
Wir ritten gestern durch in dunkler Nacht.
Jetzt liegt der Kaiser drinnen.

Ottokar.
Nun, Gott walt’s!

Diener.
Ihr solltet dort ins Haus gehn, gnäd’ger Herr!

Ottokar.
Und daß mir niemand angreift, bis ich’s sage!
Ich hab ihn hergelockt in diese Berge
Mit vorgespiegelter, verstellter Flucht.
Dringt er nun vor: die Mitte weicht zurück,
Die Flügel schließen sich – dann gute Nacht, Herr Kaiser!
Ich hab ihn, wie die Maus im Loch! Ha, ha!
(Er bricht in ein heiseres Lachen aus, das sich in ein Husten verliert. Er reibt die Hände.)
’s ist kalt! Hat niemand einen Mantel?
Vor Sonnenaufgang weht die Luft am schärfsten.
(Man gibt ihm einen Mantel.)
Ist das ’ne Sommernacht? Noch stehn die Stoppeln
Und schon so kalt! Sonst war der Sommer warm,
Der Winter Frost; jetzt tauschen sie das Amt.
Die Zeiten ändern sich und wir mit ihnen!
Hat man nicht Nachricht, wo die Königin
Sich hingewandt?

Diener.
Man weiß es nicht, mein König!

Ottokar.
Und Zawisch ist bei ihr?

Diener.
Ja, gnäd’ger Herr!

Ottokar.
Ich denke sie zu seiner Zeit zu treffen!
Will’s noch nicht tagen?

Diener.
Überhin der March
Beginnt’s zu graun; der Tag bricht an.

Ottokar (ist aufgesprungen).
Ich grüße dich, verhängnisvolle Sonne!
Eh‘ du zu Rüste gehst, hat sich’s entschieden,
Ob Fried‘ in Waffen, ob im Grabe Frieden.
(Er wirft den Mantel weg.)
Löscht aus die Feuer, laßt die Hörner tönen!
Bereitet Euch zum Kampf, es gilt das Letzte!

Bote (kommt).
Herr, Drösing brennt!

Ottokar.
Im Rücken meines Heers?
Dort stehen Eure Leute, Milota!

Milota.
Versprengte Haufen von Kumanen, Herr!
Auch glaub ich’s nicht!

Ottokar.
Ist hier herum kein Hügel?
Daß man des Feuers Richtung könnte sehn.

Diener.
Der Glockenturm.

Ottokar.
Steig einer schnell hinauf.
(Es pochen einige ans Tor.)

Ottokar.
Wie kommen Ungarn mir nach Drösing? Gottes Feuer!
Wer des die Schuld trägt, hängt! – Wird’s bald?

Diener.
Herr König,
Man weigert uns den Eintritt.

Ottokar.
Weigert? Wer?

Diener.
Sind Damen drin im Haus.

Ottokar.
Was, Damen! Possen!

Küster (der aus dem Hause getreten ist).
Herr, das Gefolg der Königin von Böhmen.

Ottokar (ihn anfassend).
Der Königin von Böhmen? – Das Gefolg‘?
Wohl auch sie selbst? – Ha, Schurk‘! – und Zawisch auch?
Es soll mir wohltun, meinen Zorn zu kühlen!

Küster.
Bedenk Eu’r Hoheit!

Ottokar.
Fort!

Küster.
Ach, Herr!

Ottokar.
Hinein!
(Er dringt ins Haus, der Küster ihm nach.)

Milota.
Wenn er den Zawisch trifft, ist er verloren!
Ich muß ihn retten, gält’s das Äußerste!
Zieht euch zurück, und ruf ich aus dem Fenster,
So dringt ins Haus und tut, was ich euch sage;
Der König ist sein selbst nicht Herr im Zorn
(Er geht ins Haus, die andern ziehen sich zurück.)